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Das Kreuz mit dem Kreuz

portrait im fitness-studio

„Warum kann mir bloß keiner helfen?“ Durchaus verzweifelt kommt der 32-jährige Christoph P. in unsere Ambulanz, der seit 4 Monaten unter Schmerzen im rechten Gesäß und im hinteren Oberschenkel leidet. Dem jungen, sportlich schlanken Mann hätte man auf dem ersten Blick nicht angesehen, dass er an manchen Tagen vor Schmerzen kaum aus dem Bett kommt. Er fühle sich inzwischen wie ein „alter Greis“. Die Bandscheibe sei schuld, habe man ihm bereits erklärt, aber alle bisherigen Therapien seien völlig erfolglos geblieben. Besonders belastend fand der Patient, dass er seine 2-jährige Tochter wegen der Beschwerden nicht mehr auf den Arm nehmen könne.

Begonnen habe alles mit einem „work out“ im Fitness-Studio, das er regelmäßig besucht. Nach einer Trainingseinheit mit vielen „sit-up`s“ habe er zum ersten Mal leichte Schmerzen im Gesäß und der rechten Hüfte verspürt. In den Tagen danach sei der Schmerz stärker geworden und habe auch in den hinteren Oberschenkel ausgestrahlt. Der Hausarzt habe ihm ein Schmerzmittel verschrieben und ihn für 3 Tage krankgeschrieben. Da sich keine Besserung einstellte und auch die Übungen im Fitness-Studio zunehmend schmerzten, wandte sich der Patient an einen Chiropraktiker, der einen Bandscheibenschaden diagnostizierte und in  mehreren Sitzungen die Wirbelsäule therapierte. Leider blieb der Erfolg aus. Inzwischen musste Christoph P. dauerhaft der Arbeit fernbleiben, da er nicht länger gehen oder sich belasten konnte.

Durch einen befreundeten Internisten wurde schließlich ein Kernspintomogramm (MRT) der Lendenwirbelsäule veranlasst. Die Bilder zeigten tatsächlich eine Bandscheibenvorwölbung zwischen dem letzten Lendenwirbel und dem Kreuzbein. Der Patient ging damit zum Orthopäden und wurde mit Infusionen, periradikulären Infiltrationen (PRT`s) und manueller Therapie behandelt. Eine bleibende Besserung stellte sich jedoch wiederum nicht ein. Der Hausarzt hatte inzwischen Opiate verschrieben, die allerdings vor allem Nebenwirkungen zeigten, ohne die Schmerzen wesentlich zu bessern. Der Orthopäde riet dem Patienten daher zu einer Operation des Bandscheibenvorfalls und überwies ihn dazu in unsere Ambulanz.

Die Bandscheibenvorwölbung auf den MRT-Bildern erschien uns eher gering und trotz des jungen Alters des Patienten nicht ungewöhnlich. An einen Zusammenhang zwischen dem Bandscheibenschaden und den Beschwerden wollten wir daher nicht so einfach glauben. In der Untersuchung ergaben sich keinerlei neurologischen Ausfälle. Die Schmerzen strahlten zwar in den Oberschenkel aus, der Hauptort der Schmerzen befand sich jedoch im Gesäß und konnte durch Drücken auf den Beckenknochen in diesem Bereich sehr intensiv ausgelöst werden. Diese Konstellation sprach am ehesten für ein Reizsyndrom des Kreuz-Darmbein-Gelenkes (Ilio-sakral-gelenk: ISG). Diese schmerzhafte Irritation der großen Gelenkverbindung zwischen dem Kreuzbein und dem Darmbein ist oft durch die üblichen konservativen Behandlungen schwierig zu therapieren.

Wir empfahlen dem Patienten zum Beweis oder Ausschluß unseres Verdachts eine örtliche Betäubung (Infiltration) im Bereich des Iliosakralgelenks. Um das Gelenk auch sicher dabei zu treffen, wird die Maßnahme unter Röntgendurchleuchtung durchgeführt. Nach der Infiltration war der Patient für 5 Stunden schmerzfrei, bevor die Wirkung nachließ und der Effekt wieder verschwand. Dadurch war die Ursache der Beschwerden identifiziert! Die Bandscheibe war nicht die Ursache der Beschwerden.

Zur langfristigen Therapie wurde ambulant unter Neuromonitoring (Überwachung der wichtigen Nervenbahnen) eine sogenannte Verödung im Kreuz-Darmbein-Gelenks vorgenommen. Dabei wird eine dünne Nadel in der Gelenksfuge platziert und mit einem schwachen Gleichstrom an seiner Spitze auf 90°C erhitzt. Dadurch kommt es zu einer Zerstörung der kleinen schmerzleitenden Nervenfasern im unmittelbaren Bereich des Gelenks, was zu einer erheblichen Reduktion der Schmerzen führt.

Christoph P. hatte nach der Verödung noch für drei Tage ein Druckgefühl im Gesäß war dann aber beschwerdefrei. Nach zwei Wochen stellte er sich zur Kontrolluntersuchung in unserer Sprechstunde vor und war zufrieden. Seine Familie hatte er mitgebracht, die Ehefrau bemerkte, dass auch der häusliche Frieden unter den Schmerzen ihres Mannes sehr gelitten hatte. „Ja, das war schon ein Kreuz mit dem Kreuz!“, meinte der Patient abschließend und nahm seine Tochter schwungvoll auf den Arm.

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