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Der Rückenmarks-Schrittmacher

Viele Stecker in vielen Steckdosen

„Sie wollen mir Strom durch den Körper jagen?!?“ Entsetzt wollte Herr B. schon fast das Untersuchungszimmer wieder verlassen. Doch war er auch neugierig geworden, welche Therapie wir für ihn empfehlen wollten.

Drei Wochen zuvor hatte sich Herr B. bei uns erstmals vorgestellt und über brennende Schmerzen im Unterschenkel berichtet, die seit einem Arbeitsunfall vor 6 Monaten bestanden. Er war von einer Hebebühne gestürzt und hatte sich einen Lendenwirbel gebrochen. Im Krankenhaus hatte man den Wirbel durch eine Operation stabilisiert. Inzwischen habe er auch kaum noch Rückenschmerzen, jedoch seien die Beinbeschwerden mit der Zeit eher noch schlimmer geworden. Verschiedene Medikamente hatte er schon ausprobiert, jedoch hätte kein Präparat die Schmerzen ausreichend bessern können. Sein Hausarzt habe ihn wieder in die Klinik überwiesen, in der die Operation durchgeführt worden war. Dort hatte man durch Röntgenbilder festgestellt, dass die Schrauben und Stäbe für die Stabilisierung korrekt platziert waren und auch sonst keine wesentlichen Störung zu erkennen waren. Man riet Herrn B. zu einer Schmerztherapie.

Beim Schmerztherapeuten hatte man verschiedene Therapien ausprobiert und war schließlich bei der medikamentösen Therapie mit Opiaten gelandet. Herr B. bemerkte zwar eine Linderung der Schmerzen, konnte aber wegen der Nebenwirkungen nicht Auto fahren oder gar arbeiten gehen. Außerdem wollte er sich nicht damit abfinden, für den Rest seines Lebens Opiate einnehmen zu müssen. So führte sein Weg zu uns.

Der Patient hatte die Idee, dass wir durch eine erneute Operation an der Wirbelsäule die Symptome bessern sollten. Durch die Vorgeschichte und die körperliche Untersuchung entstand bei uns der Verdacht auf eine sogenannte Neuropathie, also eine Symptomatik, die durch direkte Schädigung eines Nerven verursacht wird. Daher haben wir dem Patienten eine Überweisung für eine Kernspintomographie ausgehändigt und versuchsweise Pregabalin als Medikament rezeptiert, welches bei neuropathischen Schmerzen oft gute Ergebnisse erzielt. So war Herr B. nun wieder mit den MRT-Bildern bei uns. Das Medikament hatte tatsächlich deutlich angeschlagen, was unseren Verdacht auf eine direkte Nervenschädigung erhärtete. Allerdings vertrug Herr B. das Pregabalin nur schlecht, sondern hatte nach der Einnahme unter kräftigen Schwindelsymptomen zu leiden. Daher war die medikamentöse Therapie weiterhin keine geeignete Variante der Behandlung. Das MRT zeigt eigentlich keinen besonderen Befund. Der Wirbelkörper war inzwischen korrekt verheilt und es gab keine Struktur, die die im Wirbelkanal vorbeiziehenden Nerven bedrängte. Anatomisch gab es also nichts zu verbessern.

Somit war Herr B. ein äußerst geeigneter Patient für eine Hinterstrang-Stimulationsbehandlung. Da sich die offensichtlich vorliegende Nervenschädigung nicht mehr rückgängig machen lässt, kann man durch diese Methode erreichen, dass die krankhaften Signale, die der geschädigte Nerv über das Rückenmark an das Gehirn sendet, „abfangen“ werden. Dadurch wird der Nerv zwar nicht wieder gesund, aber der Patient bemerkt den Schaden nicht mehr so sehr. Die Bezeichung „Hinterstrang“ bezieht sich dabei auf die hinteren Anteile des Rückenmarks, in denen die schmerzleitenden Nervenfasern verlaufen. Diese Anteile werden bei der Methoden durch einen kleinen elektrischen Impuls angeregt (stimuliert) und dadurch in ihrer Funktion beeinträchtigt. Nach einem sehr ausführlichen Gespräch war Herr B. damit einverstanden, die Methode zunächst bei ihm zu testen. Dieser Test wird bei jedem Patienten gemacht, um vor eigentlichen Operation zu prüfen, ob der gewünscht Effekt auch erreicht wird. Für die Testung haben wir stationär bei Herrn B. unter örtlicher Betäubung und Röntgenkontrolle einen sehr dünnen Draht (Elektrode) in den Wirbelkanal positioniert und dann an einen elektrischen Stimulator angeschlossen. Nun wird mit verschiedenen Einstellungen von Stromimpuls und Position der Elektrode ausprobiert, mit welcher Einstellung die brennenden Schmerzen im Bein am besten unterdrückt sind. Glücklicherweise fand sich bei Herrn B. schnell eine perfekte Einstellung. Wir haben dann den Draht mit einem elektrischen Impulsgeber („Schrittmacher“) verbunden und diesen im Gesäßbereich unter die Haut des Patienten implantiert. Herr B. erhielt ein Steuergerät, eine Art Fernbedienung, mit der man den Schrittmacher steuern kann, um die Stimulation an die aktuelle Schmerzsituation anzupassen. Schon nach 2 Tagen konnten wir Herrn B. wieder entlassen.

Als er nach 6 Wochen zur Kontrolluntersuchung wieder zu uns kommt, ist er mit dem System recht zufrieden. Die Opiate braucht er inzwischen nicht mehr, aber eine geringe Dosis Pregabalin nimmt er weiterhin, wobei er das Medikament jetzt ganz gut verträgt. Nächsten Monat will er wieder in seinem Job arbeiten, ab dem 01.07. beginnt die Wiedereingliederung. „Ich habe direkt Lust, wieder loszulegen“, lacht er beim Abschied, „ich stehe richtig unter Strom.“ Dem steht aus unserer Sicht nichts entgegen.

2 Kommentare

  1. Ich habe im linken Bein ein schwäche und kann das Bein nicht genug heben und kann nur mit Stock laufen.Stenose Op 2011 brachte keine Heilung. Untersuchungen mit Kontrastmittel ergab ,das die Nerven im Rückenbereich nicht mehr funktionieren.gibt es eine Möglichkeit mit Impulsen die Nerven wieder so anzuregen das ich wieder richtig laufen kann ohne über ständig zu stolpern und hinzufahren.
    Danke für eine Antwort
    Hartmut Schlegel

    • Vielen Dank für Ihren Kommentar zu unserem Blog. Die Nervenstimulation mittels SCS-System eignet sich insbesondere für die Behandlung von sogenannten neuropathischen Schmerzsyndromen. Lähmungserscheinungen lassen sich damit leider nicht verbessern. Aus Ihren Angaben geht die Ursache der Nervenschädigung nicht hervor, daher lässt sich auf diesem Wege keine Empfehlung aussprechen.
      Trotzdem: Gute Besserung!

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