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Der unerwartete Wirbelsäulenbefund

Fat man sitting on bench with his back and looking away

Herbert C. konnte schon seit langer Zeit nicht mehr gut gehen. Er ist stark übergewichtig und war meist nach ca. 100 Metern Gehstecke schon so kurzatmig, dass er sich dann bereits für einige Minuten ausruhen musste. Sein Hausarzt hatte durch ein Belastungs-EKG eine Herzschwäche diagnostiziert und eine kardiologische Abklärung durch Herzkatheteruntersuchung empfohlen. Herbert C. wollte aber nicht zum Kardiologen gehen, da er sich vor der Untersuchung fürchtet. Die Geschichte sollte aber in eine ganz andere Richtung weitergehen…..

Seit kurzem hatte sich die Gehstrecke noch weiter verkürzt. Herbert C. konnte nur noch 10-20 Meter am Stück gehen, dann versagten seine Beine und er musste sich hinsetzen. Der Patient hatte sich diese Symptomatik damit erklärt, dass sein Herz nun wohl noch schwächer geworden sei. Daher wagte er nun aus Angst vor einem Herzinfarkt den Gang zum Kardiologen. Dieser fand in der Ultraschall- Untersuchung des Herzens aber keine sehr dramatische Störung. Bei genauer Befragung erfuhr er, dass die Gehstrecke viel mehr durch eine Gefühlsstörung und Muskelschwäche der Beine eingeschränkt würde als durch einen schwachen Kreislauf. Bereits in Ruhestellung verspürte der Patient eine gewisse Taubheit der Beine. Der Kardiologe schickte Herrn C. daher zunächst zum Orthopäden.

Dieser veranlasste eine Kernspintomographie der Lendenwirbelsäule und fand eine hochgradige „Spinalkanalstenose“. Diese Einengung des Wirbelkanals verursacht typischerweise eine Einschränkung der Gehstrecke durch Schwäche und Versagen der Beine, bekannt als „Schaufensterkrankheit des Rückens“ oder „Claudicatio spinalis“. Wegen der starken Einschränkungen überwies der Orthopäde Herbert C. in unsere neurochirurgische Ambulanz mit der Bitte um eine Operation.

So kam Herr C. eines morgens mit seiner Ehefrau in die Praxis und berichtete mir seine Geschichte. Er war recht verzweifelt, da er kaum noch gehen konnte. Die Beine fühlten sich inzwischen deutlich taub an und hatten nur Kraft für einige Schritte. Der Patient wollte unbedingt operiert werden, hatte aber wegen seines Übergewichtes und seines vermeintlich schwachen Herzens große Angst vor dem Eingriff.

Die Krankengeschichte ist durchaus typisch für eine Spinalkanalstenose. Bei der körperlichen Untersuchung aber passte etwas nicht zusammen: Der Patient hatte eine Gefühlsstörung nicht nur im Bereich der Beine, sondern schon ab dem Nabel und darunter, ausserdem waren die Muskeleigenreflexe der Beine eher gesteigert. Bei einer Wirbelkanaleinengung würde man aber eine Abschwächung der Reflexe erwarten.

Irritiert durch diese Befunde veranlasste ich vor einer Entscheidung über eine Operation eine CT-Untersuchung der Brustwirbelsäule. Dabei zeigte sich unerwartet der Befund eines Tumors im Bereich des 7. Brustwirbelkörpers mit Einengung des Spinalkanals an dieser Stelle. Bei der anschließenden CT-Untersuchung des Brustkorbs sah man einen großen Tumor der Lunge, der direkt in die Wirbelsäule hineingewachsen war und dadurch die Symptomatik des Patienten verursachte. Insbesondere die zunehmenden Gefühlsstörungen der Beine und die Kurzatmigkeit des Patienten waren nun gut erklärlich. Das schwache Herz und die Spinalkanalstenose waren dabei nur Nebenbefunde.

Nach einem intensiven Gespräch mit dem Patienten über den Befund und die Behandlungsmöglichkeiten hatten wir statt der Lendenwirbelsäule nun also an der Brustwirbelsäule operiert. Das Rückenmark wurde aus seiner Enge befreit, der Tumor aus dem Spinalkanal entfernt. Die Operation verlief gut, Herbert C. konnte zügig in die Fachklinik für Lungentumoren zur weiteren Therapie verlegt werden.

Ich habe Herbert C. seither nicht mehr gesehen, habe aber von seiner Ehefrau nach einigen Wochen einen Brief erhalten. Sie schrieb, dass er am Lungentumor operiert wurde und eine Bestrahlung erhalten habe. Sie bedankte sich für die Betreuung und das Erkennen der Diagnose, auch wenn es leider wohl zu spät gewesen sei. Ihr Mann war 5 Tage zuvor an den Folgen der Krebserkrankung verstorben.

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