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Ein Bandscheibenvorfall ist kein Bandscheibenvorfall

Doctor examining MRT film. Isolated on a white background. 

„Herr Doktor, sie müssen mir helfen, ich habe einen dreifachen Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule!“

Diese Aussage müsste eigentlich das Herz eines jeden operativ tätigen Neurochirurgen oder Wirbelsäulenchirurgen höher schlagen lassen. Drei Operationen oder alternativ eine Operation in drei Höhen verspricht zunächst lukrativ zu sein, ganz abgesehen davon, dass der Patient geheilt nach Hause entlassen werden kann. Weit gefehlt!!

Die in der Kernspintomographie (MRT) gestellte Diagnose „Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule“ hat für sich genommen noch gar keinen Krankheitswert. Bandscheibenvorwölbungen oder gar -vorfälle sind häufiger als man denkt, und nicht selten Zufallsbefunde. Ein Bandscheibenvorfall ist erst dann eine Krankheit, wenn eine passende klinische Symptomatik vorliegt, also eine sogenannter ausstrahlender “Ischiasschmerz“, Gefühlsstörungen im Bein oder Lähmungserscheinungen.

Die Problematik beginnt leider häufig bereits bei der Diagnosemitteilung. Die Aufgabe des Radiologen ist neben der Durchführung der Kernspintomographie eine genaue Beschreibung des Bildes. Natürlich muss er auch Bandscheibenvorwölbungen und -vorfälle genauestens beschreiben, selbst wenn sie überhaupt nicht zu der klinischen Symptomatik passen. Damit beginnt häufig die Problematik. Der Patient fühlt sich ab diesem Moment „rückenkrank“, ohne dass der dargestellte Bandscheibenvorfall vielleicht mit den Beschwerden im Zusammenhang steht. Oft sind muskuläre Ursachen oder Gelenkreizungen die eigentlichen Ursache von Rückenschmerzen und nicht ein im MRT beschriebener Bandscheibenvorfall.

Wer kennt nicht jemanden in seinem Bekanntenkreis, der einen Bandscheibenvorfall hatte oder der um gute Ratschläge nicht verlegen ist? Häufig sind die berichteten Behandlungsergebnisse von zweifelhafter Qualität.

Woran liegt das?

Bandscheibenvorfall ist nicht gleich Bandscheibenvorfall. Es gibt verschiedene Lokalisationen und Schweregrade mit unterschiedlichsten Symptomen. Man kann Befunde und Diagnosen nicht einfach von einem Patienten auf einen anderen übertragen und dann meinen, die gleiche Therapie helfe allen Patienten gleich gut. Es braucht viel ärztliche Erfahrung, um dies differenzieren zu können.

Wann sollte also eine Operation erwogen werden?

Diesbezüglich gibt es eindeutige Leitlinien unserer Fachgesellschaften. Eine Operation kommt dann ernsthaft in Betracht, wenn der Bandscheibenvorfall eine Nervenwurzel drückt oder reizt. Bei einer frisch aufgetretenen Lähmung des Fußes, die durch einen Bandscheibenvorfall verursacht ist, ist eine zeitnahe Operation angebracht, wenn es der körperliche Zustand des Patienten zulässt.

Taubheitsgefühle oder „Ameisenlaufen“ am Fuß oder Unterschenkel ohne Lähmungen stellen alleine noch keinen Grund zur Operation dar. Ausstrahlende Schmerzen sollten zunächst konservativ mit Medikamenten und gegebenenfalls begleitenden physiotherapeutischen Maßnahmen behandelt werden. Wenn die Schmerzen trotz Ausschöpfung aller konservativen Maßnahmen – inklusive therapeutischer Nervenwurzelinfiltrationen (sogenannte PRT) – längerfristig die Lebensqualität oder die Arbeitsfähigkeit negativ beeinflussen, ist eine Operation sinnvoll.

Sollte Ihnen also jemand nach einer MRT-Untersuchung mitgeteilt haben, dass Sie Bandscheibenvorfälle haben, dann denken Sie daran:

  1. Ein „Bandscheibenvorfall“ im MRT ist noch lange keine Erkrankung.
  2. Bandscheibenvorfall ist nicht gleich Bandscheibenvorfall! Es kommt immer auf die individuellen Symptome und Umstände an, wie die Behandlung aussehen sollte.

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