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Frühlingserwachen

Senior woman in her garden harvesting tomatoes

Elisabeth W. freute sich auf den Frühling. Seit einigen Tagen waren die Tulpen erblüht und wie in jedem Jahr machte sie sich daran, den Garten herzurichten und die Terrassenmöbel aus dem Winterquartier zu holen. Bis vor drei Jahren war diese Aufgabe ihrem Mann zugefallen, der aber plötzlich verstarb. So war Frau W. mit ihren 78 Lebensjahren nun auf sich allein gestellt.

Beim Tragen der Gartenstühle spürte Elisabeth W. auf einen Schlag einen kräftigen Schmerz in der Lendenwirbelsäule, der ihr sofort in beide Beine schoss. Sie musste sich direkt auf den Boden legen, um die Schmerzen besser aushalten zu können. Nach einigen Minuten hatte sich die Situation etwas beruhigt und Frau W. konnte allmählich aufstehen und sich ins Haus begeben. Dort legte sie sich auf das Sofa und spürte, wie die Schmerzen langsam aus den Beinen verschwanden. Sie konnte alles bewegen und hatte keine Gefühlsstörungen entwickelt. Das beruhigte sie sehr. Als sie wieder ganz gut auf den Beinen stehen konnte, nahm sie eine Ibuprofen-Tablette aus ihrer Hausapotheke und fühlte sich etwas später wieder weitestgehend hergestellt. Schmerzen bestanden noch in der Wirbelsäule etwa auf Höhe der Nierenlager, sie fühlte sich auch nicht in der Lage, die Gartenarbeit zu beenden.

Als die Beschwerden auch nach einigen Tagen nicht besser wurden und sie immerhin täglich 2-3 Tabletten Ibuprofen benötigt hatte, ging sie zum Hausarzt. Dieser fand keine neurologischen Ausfälle, versorgte die Patientin mit einem neuen Ibuprofen-Rezept und riet ihr zu viel Ruhe. Leider bemerkte Elisabeth W. trotzdem bei jeder Belastung immer wieder die Wirbelsäulenschmerzen, die einfach nicht besser wurden. Der Hausarzt verordnete nun Krankengymnastik, die Übungen waren jedoch für die Patientin so schmerzhaft, dass sie die Termine zuletzt gar nicht mehr wahrnahm.

So erfolgte die Überweisung zum Orthopäden, dieser fertigte ein Röntgenbild der Lendenwirbelsäule an, die einen altersentsprechenden Befund zeigte. Es begannen nun verschiedene Therapieversuche mit medikamentöser Muskelentspannung, Infiltrationen, manueller Therapie und Wärmeanwendungen. Leider blieb ein Behandlungserfolg aus. 6 Wochen bestanden nun schon die Beschwerden, ohne dass eine Besserung erkennbar wurde. Der Orthopäde überwies Frau W. daher in unsere neurochirurgische Praxis und bat unter dem Verdacht auf eine Wirbelgelenksarthrose um eine Verödung der Wirbelgelenke.

Elisabeth W. zeigte bei unserer klinischen Untersuchung tatsächlich einen Druckschmerz über der gesamten Lendenwirbelsäule (LWS) und der unteren Brustwirbelsäule (BWS). Eine Ausstrahlung in die Beine bestand nicht, ebenso keine neurologische Symptomatik. Anders als beim Wirbelgelenkssyndrom fanden wir aber auch einen starken Klopfschmerz über der unteren BWS. Außerdem konnten wir nicht so recht an eine so plötzlich auftretende Symptomatik bei einem Wirbelgelenkssyndrom glauben. Wir wollten daher vor einer Verödung lieber eine MRT-Untersuchung der unteren BWS und LWS durchführen lassen und vertrösteten Frau W. zunächst mit einer Überweisung zum Radiologen.

Das MRT zeigte ganz eindeutig einen Wirbelkörperbruch des 10. Brustwirbels, der bis auf einen kleinen Rest zusammengedrückt war. Das Röntgenbild des Orthopäden hatte die BWS nur im unteren Anteil mit dem 11. und 12. Brustwirbelkörper dargestellt, daher war die Fraktur dort nicht gesehen worden. Die Ursache der plötzlichen Schmerzen war somit geklärt. Eine Osteoporose (Knochenerweichung) hatte den Wirbel instabil werden lassen und damit zum Wirbelkörperbruch geführt.

Da die Beschwerden über inzwischen 8 Wochen nicht besser geworden waren, haben wir der Patientin zu einer Operation geraten. Frau W. hatte genügend Leidensdruck, um diesem Vorschlag zuzustimmen. Wir stabilisierten ihre Wirbelsäule vom 8. bis zum 12. Brustwirbelkörper, um die Wirbelkörperfraktur ausreichend zu überbrücken. Nach 8 Tagen konnten wir Frau W. aus dem Krankenhaus entlassen. Sie hatten zunächst noch eine Weile Wundschmerzen, konnte sich aber zuhause gut mobilisieren und soweit zurechtkommen. Bei der Kontrolluntersuchung nach 6 Wochen war Elisabeth W. sehr zufrieden. Sie könne ihren Haushalt wieder ganz gut bewerkstelligen und benötige nun keine Schmerzmittel mehr. „Konnten Sie denn inzwischen den Frühling in ihrem Garten etwas geniessen?“, wollte ich wissen. „Und wie!“, gab sie freudestrahlend zurück. „Ich hatte meinen Nachbarn gebeten, für mich die restlichen Gartenmöbel zu holen. Das ist ja so ein netter Mann. So haben wir uns erstmals näher kennengelernt und nun sitzen wir abends zusammen auf meiner Terrasse und reden über Gott und die Welt. Es ist alles so gut geworden.“

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