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 brücke

Frau G. ist 70 Jahre alt. Sie sitzt gebeugt und schmerzgeplagt in einem Rollstuhl, ihr Ehemann trägt einen Ordner mit ihrer Krankengeschichte bei sich. Die Patientin blickt auf eine mehrjährige Krankengeschichte zurück. Angefangen hat alles im Jahr 2011.

Ihr Gangbild veränderte sich zusehends. Sie selbst beschreibt es als „eiernd“ und „watschelnd“, ein Beschreibung die gut passt. Eine Rückgratverkrümmung (Skoliose) war seit der Kindheit vorbekannt, allerdings hatte diese bisher außer zwischenzeitlichen Rückenschmerzen keine Probleme verursacht. Im Verlauf entwickelte die Patientin einen linksseitigen Ischiasschmerz und eine Schwäche in der Oberschenkelmuskulatur. Nach vielen Arztkonsultationen wurde sie in einer Klinik vorgestellt, die auf rheumatische Erkrankungen spezialisiert ist, da inzwischen zusätzlich eine rheumatische Arthritis diagnostiziert worden war.

Der Wirbelsäulenchirurg fand die Ursache der inzwischen hoch auffälligen Gangstörung in der Rotationsskoliose (Verdrehung der Wirbelsäule), die sich über die Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule erstreckte. Um den Ischiasschmerz zu beheben wurden operativ die Wirbelbögen der Lendenwirbelsäule (LWS) entfernt um die Nervenwurzeln zu entlasten, die LWS geradegestellt und in dieser Stellung mit Schrauben vom zweiten Lendenwirbel bis zum Kreuzbein versteift. Die Patientin, die inzwischen auch noch die Diagnose einer Parkinson´schen Erkrankung erhalte hatte profitierte zunächst von dem großen Eingriff, die Ischiasschmerzen waren für wenige Monate verschwunden. Nach sechs Monaten kam es zu starken rechtsbetonten Rückenschmerzen, das Gangbild hatte sich weiter verschlechtert, die Patientin benutzte inzwischen einen Rollator. Die Versteifung wurde unter der Diagnose einer Instabilität auf die darüber liegende Höhe auf den ersten Lendenwirbel verlängert. Wieder nach einem halben Jahr entwickelte die Patientin schlagartige Rückenschmerzen im Übergang von Brust- zur Lendenwirbelsäule. Am Übergang der versteiften Lendenwirbelsäule zur Brustwirbelsäule kam es spontan zu einem Wirbelkörperbruch des ersten Lendenwirbels und des letzten Brustwirbels mit einer Instabilität und akuter Gefahr der Querschnittslähmung. Notfallmäßig wurde die Versteifung bis auf den neunten Brustwirbelkörper verlängert. Im Verlauf berichtet der Ehemann kam es zu einer Besserungen der Schmerzen, das Gangbild blieb gleich schlecht. Nach einem Jahr kam es zu einem plötzlichen lauten Knacken im Rücken und zu sofortigen stärksten Schmerzen.

Das war der Zeitpunkt unseres Erstkontaktes. Als Ursache der Beschwerden zeigte sich ein Bruch beider Titanstangen, die den Rücken versteiften. Die Belastung war auf die Stangen zu hoch geworden, da die Wirbelkörper an einer Stellen eingebrochen waren. Es handelte sich also um eine statisches Problem. Da die Situation als instabil einzuschätzen war ersetzten wir von der Seite die beiden gebrochenen Wirbel um ein Widerlager zu schaffen und wechselten in einer zweiten Operation die Titanstangen aus. Die Patientin brauchte lange bis sie sich von den Eingriffen erholt hatte, konnte zuletzt aber wieder am Rollator gehen.

Nach einem Jahr kam es wieder zu einem Knacken in der Wirbelsäule, wieder war ein Stab an der Stelle gebrochen, an der sich die Stange verjüngte. Da die Patientin außerordentlich schlank ist, verspürte sie die gebrochene Stange als ständige Stiche im Rücken. Wir schienten und überbrückten die Stange in einem weiteren operativen Eingriff. Inzwischen ist die gegenüberliegende Stange gebrochen, wir haben sie aber nicht ausgetauscht, da wir von einer knöchernen Stabilität ausgehen und die Patientin diesbezüglich wenig Beschwerden hat.

Warum erzählen wir diese Geschichte? Natürlich ist man im Nachhinein schlauer, insbesondere wenn man die ersten Operationen nicht durchgeführt hat. Darum geht es aber nicht! Die Erzählung soll veranschaulichen, dass die medizinische Fehleinschätzung einer Situation zu einer operativen Kettenreaktion führen kann. Keine der erfolgten Operationen hatte das Gangbild von Frau G. je verbessert. Das war auch nicht möglich, da die Ursache der Gangstörung von Anfang an nicht mechanisch, sondern neurologisch, unter anderem auch vom Morbus Parkinson, beeinflusst war. Hier wurde die falsche Weichenstellung getätigt.

Die Gangstörung verursachte bei vorhandener Skoliose eine starke Fehlbelastung der Wirbelsäule, die im Verlauf zu einer Wurzelreizung und damit zu einem „Ischiasschmerzen“ führte und letztendlich die erste Operation indizierte. Das seltsame Gangbild von Frau G. hatte jedoch nie zu einer Wirbelsäulenerkrankung gepasst. Vermutlich hätte es gereicht zunächst nur den Ischiasschmerz durch einen kleineren operativen Eingriff zu behandeln.

Aber wie gesagt, im Nachhinein ist man immer schlauer!

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