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Schleudertrauma

AuffahrunfallKaum liegen im Herbst die ersten Blätter auf den Straßen häufen sich die Auffahrunfälle. Durch den verlängerten Bremsweg schlittern Autofahrer beim abrupten Halten in das voranfahrende Fahrzeug. Durch den Aufprall wird dessen Fahrer kräftig nach hinten und dann nach vorne geschleudert. Das belastet ganz besonders die Halswirbelsäule. Auch in der Notaufnahme unserer Klinik ist im Herbst eine Zunahme von Patienten mit sogenannten Schleudertraumata zu verzeichnen.

Meist klagen die Patienten vor allem über Nackenschmerzen, Kopfschmerzen und manchmal auch Schwindel. Üblicherweise wird ein Röntgenbild angefertigt. Dieses soll zeigen, ob es zu Knochenbrüchen und Verschiebungen der Halswirbel gekommen ist. Zeigt das Bild keine Auffälligkeiten, so kann der Patient mit einer „Halswirbelsäulenstütze“ (HWS-Orthese) entlassen werden. In der Regel sind die Beschwerden dann nach 2-6 Wochen wieder verschwunden und der Patient ist wieder gesund.

Leider gibt es auch Fälle, in denen ein Auffahrunfall nicht so glimpflich verläuft. Es kann nämlich dabei auch ein Bandscheibenschaden entstehen oder verschlimmert werden. Am ungünstigsten ist die Situation, wenn die Nerven oder das Rückenmark verletzt oder gedrückt werden. Dann kann es auch zu neurologischen Symptomen bis hin zum Querschnittssyndrom kommen. Diese ernsteren Folgen eines Auffahrunfalls sehen wir meistens bei Patienten, die schon vorher einen verschleißbedingten Bandscheibenschaden oder eine Wirbelkanaleinengung haben. Eine rein konservative Therapie mit einer HWS-Orthese reicht dann oft nicht aus.

Eugen H. hatte vor seinem Unfall nie Beschwerden im HWS-Bereich gehabt. So hatte er auch zunächst gar keinen Zusammenhang gesehen, als er nach einem Verkehrsunfall, der eher ärgerlich als ernsthaft gewesen war, am nächsten Morgen ein unangenehmes Kribbeln und Schmerzen im rechten Arm verspürte. Er wollte noch in der PKW-Werkstatt die Formalitäten erledigen, merkte aber dann bei der Unterschrift, dass er den Stift nicht richtig halten konnte. Seine Frau schickte ihn daraufhin in unsere Ambulanz. Er müsse das auf jeden Fall aufnehmen lassen, denn es stünde ihm ja auch ein Schadenersatz zu.

Ohne wirklich an eine ernsthafte Verletzung zu glauben, berichtete mir also Herr H. Von seinem Unfall und seinen Beschwerden. Bei der Untersuchung zeigte sich eine Lähmung des Faustschlusses, d.h. er konnte nicht mehr richtig mit rechts zupacken. Das Röntgenbild war eher unauffällig, nur ein kleiner Versatz zwischen dem 7. Halswirbel und dem 1. Brustwirbel fiel auf. Wegen der Lähmung musste ich der Sache weiter auf den Grund gehen. Wir veranlassten eine Kernspintomographie. Die Bilder offenbarten eine Zerreißung der gesamten Bandscheibe in der Höhe HW7/BW1. Das Bandscheibenmaterial war deutlich In den Wirbelkanal gefallen und drückte teilweise auf das Rückenmark, vor allem aber auf die Nervenwurzel C8, die für den Faustschluss mitverantwortlich ist.

Ich riet Herrn H. dringlich zu einer Operation, um die Lähmung nicht endgültig werden zu lassen. Herr H. hatte damit überhaupt nicht gerechnet und braucht erst einen Moment, um sich zur OP zu entschließen. Über einen Schnitt vorn am Hals entfernte die kaputte Bandscheibe, entlastete damit den Nerven und stabilisierte das Segment mit einem Abstandshalter (einem sogenannten Cage) und einer Titanplatte. Die OP verlief gut, Herr H. war schnell wieder auf den Beinen und hatte fast keine Schmerzen mehr. Die Lähmung wurde jedoch nur sehr langsam besser. Letztlich fiel Eugen H. dadurch fast 3 Monate bei der Arbeit aus.

Ein unrühmliches Nachspiel hatte der Unfall und die Behandlung dadurch, dass Herr H. beim Unfallgegner zivilrechtlich einen Schadenersatz geltend machen wollte, die gegnerische Partei aber bezweifelte, dass der Bandscheibenschaden – und damit auch die nachfolgende Behandlung, Operation und Nachsorge – durch den Unfall entstanden sei. Es kam zum Prozess und ich wurde vom Gericht mit dem Gutachten beauftragt. Ich sollte nun klären, ob der Unfall die Ursache der gesamten Schädigung, Behandlung und Folgeschäden sei.

Als Gutachter ist man hier in einem Dilemma. Letztlich kann man in der Regel nicht beweisen, ob ein Bandscheibenschaden durch einen Unfall oder durch Verschleiß entstanden ist. Es gibt aber einige Hinweise, die bei der Orientierung helfen können:

Für einen Schaden durch einen Unfall sprechen folgende Informationen:

  • Der Patient hatte vor dem Unfall keine Beschwerden, z.B. keinen Arztkontakt oder keine andere Behandlung wegen der gleichen Beschwerden.
  • Die Symptome setzen sofort oder sehr kurz nach den Unfall ein.
  • Es gibt keine wesentlichen sonstigen verschleißbedingten Schäden an der Wirbelsäule.
  • In der Bildgebung und in der Operation zeigt sich eher eine Zerreißung (z.B. mit Blutungsanteilen) der Bandscheibe als die verschleißtypischen Veränderungen.
  • In der Umgebung der Wirbelsäule zeigen sich andere relevante Verletzungszeichen.

Bei Herr H. trafen diese genannten Punkte mehr oder weniger zu, sodaß ich in meinem Gutachten einen Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Schädigung „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ attestiert habe. Das Gericht folgte der Auffassung, Herr H. gewann den Prozess.

Vor kurzem traf ich Herr H. wieder. Er stellte sich nun mit Schmerzen in der Lendenwirbelsäule bei mir vor und bat um einen Therapievorschlag. Seitens der Halswirbelsäule ging es ihm gut, er habe keine Beschwerden mehr. Ich freute mich, dass bei der Untersuchung an der rechten Hand keine Lähmungen mehr festzustellen waren.

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