Menü

Schwester Anna

Unbenannt

In den Pflegeberufen sind Wirbelsäulenerkrankungen eine typische Erscheinung unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Tätigkeiten am Patienten führen häufig zu unphysiologischen Bewegungsabläufen, fast jede zweite Krankenschwester bzw. Pfleger leidet unter wiederkehrenden Rückenschmerzen. Krankschreibungen sind eine häufige Folge, nicht selten muss der Beruf aufgrund eines chronischen Wirbelsäulenleidens aufgegeben werden.

Ein zusätzlicher Aspekt ist die allgemeine Arbeitsbelastung durch steigende Anforderungen und erhöhten Zeitdruck. Diese führt zu Überlastungen und zu Erschöpfungssyndromen, z.B. dem „Burn-out-Syndrom“. Dabei kommt es oft zu sogenannten Somatisierungsstörungen, d.h. die psychischen/seelischen Störungen führen zu körperlichen Symptomen. Unter diesen körperlichen (somatischen) Beschwerden finden sich erneut häufig Rückenprobleme.

Insofern ist es nicht verwunderlich, dass wir in unserer Ambulanz jede Woche Kolleginnen und Kollegen aus der Pflege als Patienten sehen, die sich mit unspezifischen Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule vorstellen. Die akute Hilfe ist oft leicht zu bewerkstelligen: Ein leichtes Schmerzmittel, ggf. ein Medikament zur Muskelentspannung, Wärmeanwendungen und Ausstreichmassagen im Bereich der Lendenwirbelsäule, eventuell ein paar Tage Ruhe und Entlastung durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung lindern die Symptome oft sehr schnell.

Meist wollen die Mitarbeiter gar nicht krankgeschrieben werden, da sie ihre Kollegen nicht „hängen lassen“ wollen. Schwestern und Pfleger sind eben oftmals recht altruistisch und haben eher ein schlechtes Gewissen, wenn sie einmal selbst krank sind.

So erwartete ich eigentlich keine besonderen Überraschungen, als sich eines Tages Schwester Anna von unserer Überwachungsstation in unserer Ambulanz einfand. Sie berichtete mir über ihre Rückenschmerzen, die sie ganz akut seit dem Vortag plagten. In der Untersuchung fanden sich keine Besonderheiten, eine deutliche Muskelverspannung war der einzige auffällige Befund. Ich versorgte die Kollegin mit den üblichen Rezepten und Empfehlungen und bat sie, bei Therapieversagen wieder zu kommen. Dann hörte ich eine Weile nichts mehr von ihr.

Zwei Wochen später traf ich Sr. Anna wieder auf ihrer Station und erkundigte mich nach ihrem Befinden. Sie hatte immer noch ähnliche Beschwerden, war aber nach einigen Tagen wieder zur Arbeit gegangen. Sie habe in zwei Wochen Urlaub, bis dahin würde sie schon noch durchhalten. Ich bot ihr nochmals meine Hilfe an, sie wollte sich gegebenenfalls melden.

Einen Schreck erlebte ich einige Zeit später, als ich Sr. Anna als Patientin auf der internistischen Intensivstation antraf. Andere Kolleginnen hatten mir den Hinweis gegeben. Anna ging es sehr schlecht, sie hatte sich eine Blutvergiftung (eine sogenannte Sepsis) zugezogen und war künstlich beatmet worden. Die Ursache der Sepsis war eine Agranulozytose, eine kritische Verminderung von wichtigen Zellen der Immunabwehr. Das ist eine sehr seltene, aber lebensbedrohliche Nebenwirkung des Wirkstoffs „Metamizol“, welcher als Schmerzmittel Anwendung findet. Anna hatte sich anhaltend mit hohen Dosen eines Metamizol-haltigen Präparats behandelt, um weiter arbeiten zu können, und war schließlich daran so ernsthaft erkrankt.

Unter intensivmedizinscher und antibiotischer Therapie besserte sich Annas Zustand glücklicherweise und etwa zwei Wochen später konnte sie aus dem Krankenhaus entlassen werden. In der letzten Woche kam sie zu mir in die Ambulanz, ich freute mich, sie wohlauf wieder zu sehen. Es ging ihr viel besser, aktuell bestanden auch keine Rückenschmerzen. Sie sei schon seit einer Woche wieder auf der Station tätig und freue sich, dass alles so glimpflich verlaufen sei. Eines habe sie aber nun gelernt: Falls sie wieder Rückenschmerzen bekäme, würde sie diese nicht mehr wochenlang nur mit einem Schmerzmittel bekämpfen, sondern der Sache tiefer auf den Grund gehen und die Ursachen beheben. Diesem erfreulichen Fazit gab es nichts hinzuzufügen.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.