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Karfreitag

Monitoring of the patient's heart on the background of doctors standing at the bedside

In der Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen geht es in der Regel darum, Schmerzen zu lindern, Lähmungen oder Gefühlsstörungen zu behandeln, manchmal auch um Vermeidung oder Besserung von Querschnittsyndromen. Leider gibt es aber auch in der Wirbelsäulenchirurgie Krankheitsverläufe, die trotz aller Bemühungen mit dem Tod des Patienten enden. Am heutigen Karfreitag möchte ich von einem Patienten erzählen, der durch eine eigentlich banale Infektion schwer erkrankte und in unserer Klinik letztlich verstarb.

Walter K. war vor einigen Jahren in einer auswärtigen Klinik an der Halswirbelsäule operiert worden. Er hatte damals durch Verschleiß eine Enge des Wirbelkanals entwickelt und die Kollegen hatten zwei Bandscheiben entfernt, die Enge geweitet und den vierten, fünften und sechsten Halswirbel mit einer Platte und Schrauben fest verbunden. Der Patient hatte seither keine besonderen Beschwerden gehabt und war mit dem Eingriff zufrieden.

Zu Beginn des Frühlings hatte Walter K. einen empfindlichen Hals und Fieber entwickelt und dies zunächst für eine Erkältung oder Grippe gehalten. Als er aber in den Händen ein Kribbeln verspürte ging er zum Hausarzt, der diesem Symptom keine besondere Bedeutung beimaß. Walter K. erhielt Schmerzmittel und Inhalationen.

Nach einigen Tagen wurde das Kribbeln der Hände jedoch schlimmer und auch die Beine fühlten sich komisch an. Ausserdem hatte der Patient immer wieder Fieber. Die Sache war ihm nicht geheuer. Er ließ sich deshalb in die Notaufnahme des örtlichen Krankenhauses fahren. Dort fand sich bei der routinemäßigen Untersuchung auf Infektursachen im Urin der Hinweis auf eine Harnwegsinfektion. Somit erfolgte die Aufnahme auf die urologische Station. Dort wurde mit Antibiotika und reichlich Trinkmenge behandelt. Leider fanden die anhaltenden Arm- und Beinsymptome keine weitere Beachtung. Schließlich entwickelte der Patient immer höhere Infektionswerte in den Blutuntersuchungen und Fieber.

Am Samstag, 8 Tage vor Ostern, konnte der Patient morgens seine Beine nicht mehr bewegen, die urologische Visite erfolgte gegen Mittag, man rief konsiliarisch den diensthabenden Neurochirurgen herbei. Der Kollege sah den Patienten einige Stunden später und fand bereits zusätzlich erhebliche Bewegungsstörungen an den Armen. Er riet daher zu einem Kernspintomogramm der Wirbelsäule. Dieses war jedoch in dem Krankenhaus am Wochenende nicht verfügbar.

Der diensthabende Urologe fragte daher in der benachbarten Klinik an, in der Walter K. damals auch seine Operation an der HWS erhalten hatte. Auch dort war am Wochenende aber kein Kernspintomogramm verfügbar, weshalb man die Übernahme des Patienten ablehnte. Der Urologe  wandte sich daher an die nächste Universitätsklinik. Dort wurde ebenfalls die Übernahme des Patienten abgelehnt, da man sich aufgrund der Entfernung nicht zuständig fühle. Man riet dem Urologen aber alternativ, sich an uns als spezialisiertes Wirbelsäulenzentrum zu wenden. So kam es am Samstagabend um 18:45 Uhr endlich zum Anruf bei uns. Ich bat um die schnellstmögliche Verlegung des Patienten in unsere Notaufnahme und informierte die Kollegen vor Ort schon im Voraus über das dringlich erforderliche Kernspintomogramm.

Erst gegen 22:30 Uhr erreichte der Rettungswagen mit Walter K. unsere Klinik. Tatsächlich konnte er inzwischen die Beine gar nicht mehr bewegen und die Arme nur noch im Bereich der Schultern etwas hochziehen. Der Patient war fiebrig und wirkte insgesamt schwer angeschlagen.

Die sofortige Kernspintomographie zeigte das verheerende Bild eines großen Abszesses im Hals vor der Wirbelsäule. Die Infektion war zwischen dem sechsten und siebten Halswirbel in den Wirbelkanal eingedrungen. Dort hatte sich der Abszess ausgebreitet und drückte massiv auf das Rückenmark.

Es galt nun, trotz der denkbar unglücklichen Tageszeit sehr schnell zu handeln. Der Patient wurde direkt in den OP gebracht. Ich eröffnete den Abszess und entfernte die Platte und die Schrauben aus der Halswirbelsäule. Die völlig vereiterte Bandscheibe zwischen dem sechsten und siebten Halswirbel ließ sich leicht entfernen, so konnte ich den Abszess aus dem Wirbelkanal absagen und  herausspülen. Nach ausgedehnter Entlastung des Rückenmarks und reichlich Spülung war schließlich aller Eiter entfernt. Die nun instabile Wirbelsäule wurde noch mit einem Abstandhalter (einem sogenannten Cage) und einer neuen Platte fixiert und die Wunde verschlossen.

Nach der Operation wurde der Patient auf die Intensivstation verlegt. Er benötigte von Anbeginn kreislaufunterstützende Medikamente und erhielt eine sehr breite antibiotische Therapie. Am nächsten Morgen konnte die Narkose kurz unterbrochen werden, um den Patienten beurteilen zu können. Walter K. konnte die Arme schon besser bewegen und auch die Faust öffnen und schließen, die Beine waren noch gelähmt. Leider hatte die Infektion bereits die Lungen soweit erfasst, dass der Patient gleich wieder narkotisiert und beatmet werden musste.

In den nun folgenden Tagen kam es zu einem Wettlauf der Intensivmedizin gegen die Infektion, der  vielleicht schon von Anfang an verloren war. Trotz intensiver Unterstützungsmassnahmen versagten infolge eines schweren Infektionsverlaufes immer weitere innere Organe. Auch der Einsatz einer ECMO (eine Art Herz-Lungen-Maschine) konnte dem Patienten nicht mehr helfen. Walter K. starb am Gründonnerstag, 5 Tage nach seiner Ankunft bei uns, im Beisein seiner Angehörigen an den Folgen der Infektion der Halsweichteile.

Diese Geschichte zeigt auf tragische Weise, dass der Erfolg einer Therapie oder das Versagen, sogar das Versterben eines Patienten manchmal von unglücklichen Umständen, Missverständnissen und zunächst unwesentlich erscheinenden Fehlentscheidungen abhängen kann. Manches hätte hier im Vorfeld besser, schneller laufen können. Hinterher ist man oft klüger. Insofern kann ein solch dramatischer Verlauf wenigstens dabei helfen, dass es beim nächsten Patienten in gleicher Situation zu einem glücklicheren Ausgang kommt. Denn auf Karfreitag folgt immer Ostern.

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