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Nach „fest“ kommt „ab“

HWS-StabilisierungDass es am Ende vier Operationen werden würden, bevor Bernhard G. von seinen Beschwerden befreit wäre , hatten wir uns beim ersten Zusammentreffen nicht vorstellen können. Eigentlich schien die Sache nämlich ganz einfach.

Herr G. hatte seit Monaten typische Nackenschmerzen und schmerzhafte Kribbelempfindungen in den Armen. Das Kernspintomogramm zeigte einen erheblichen Verschleiß der Bandscheiben zwischen dem dritten, vierten und fünften Halswirbel, weshalb der Wirbelkanal und auch die Austrittslöcher für die Armnerven deutlich eingeengt waren. Eine Operation sollte das Problem lösen.

Wir entfernten die kaputten Bandscheiben und ersetzten diese durch künstliche Abstandhalter (sog. Cages). Somit waren die Nerven wieder frei. Zur zusätzlichen Absicherung und Stabilisierung legten wir eine Metallplatte von vorne der Wirbelsäule an und verschraubten diese mit den betreffenden Wirbelkörpern. Tatsächlich war der Patient recht schnell gebessert und hatte deutlich weniger Schmerzen. Der Patient und wir als Behandler waren mit dem Ergebnis recht zufrieden.

3 Monate später stellte sich der Patient wieder vor. Er hatte in kurzer Zeit wieder starke Nackenschmerzen entwickelt und konnte zunehmend schlechter schlucken. Das Röntgenbild zeigte das Problem. Die Metallplatte hatte sich gelöst und war nach vorne verlagert. Als Ursache zeigte sich eine vermehrte Beweglichkeit (Instabilität) der Wirbelsäule in den hinteren Anteilen, weshalb die vordere Abstützung durch die Platte nicht ausreichend wirken konnte. Wir mussten also zusätzlich auch eine Stabilisierung von hinten durchführen.

In der zweiten Operation entfernten wir also zunächst die Metallplatte von vorne und verankerten diese neu. Nach einigen Tagen stabilisierten wir dann in einer dritten Operation die Halswirbel von hinten mit zusätzlichen Schrauben. Beide Eingriffe hat der Patient gut überstanden, wir konnten Bernhard G. bald wieder entlassen. Drei Wochen nach der letzten Operation kam er zur Kontrolluntersuchung in unsere Sprechstunde und zeigte sich soweit zufrieden. Er habe noch etwas Nackenschmerzen und leichte Schluckstörungen, sei insgesamt aber schon deutlich gebessert.

Nur 2 Monate später kam Bernhard G. erneut in unsere Sprechstunde und war ganz unglücklich. Er könne seinen Kopf gar nicht so recht anheben und könne daher immer schlechter schlucken. Er müsse alles püriert essen und könne nur mit einem Strohhalm trinken. Das mache ihn kreuzunglücklich. Tatsächlich hatte sich die Stellung der HWS bei dem Patienten stark verändert. Herr G. hielt den Kopf immer vornüber gebeugt und hatte große Schwierigkeiten, nach oben zu blicken.

Ein CT sollte Aufschluß geben. Die Metallimplantate saßen aber weiterhin an den richtigen Stellen und hatten sich nicht verschoben. Die Halswirbelsäule war im CT-Bild auch durchaus gerade gestreckt, sodass ein Blick nach oben, oder wenigstens in die Horizontale, ohne weiteres möglich erschien. Erst die Röntgen-Funktionsaufnahmen, die im Stehen gemacht werden, zeigten das Problem. Der Patient konnte seinen Kopf nicht aufrichten, da die Halswirbelsäule im Stehen unterhalb des stabilisierten Bereiches abknickte. Die Bänder, Gelenke und Muskeln im Bereich des sechsten und siebenten Halswirbels konnten also die HWS nicht aufrecht halten.

Diese ungewöhnliche Situation haben wir mit Bernhard G. ausführlich besprochen. Wir waren uns keineswegs sicher, wie das Problem am besten zu lösen sei. Der Patient war aber recht verzweifelt und gab an, so nicht zurecht zu kommen.

Wir vereinbarten daher einen vierten Eingriff: Dabei haben wir die Metallstäbe, mit denen die Halswirbel 3, 4 und 5 stabilisiert worden waren, nach unten verlängert und mit dem siebenten Halswirbel und dem ersten Brustwirbel durch Schrauben verbunden. Dadurch konnten wir die Halswirbelsäule in einer aufgerichteten Position verankern.

Nun endlich besserte sich die Situation für den Patienten. Die Schluckstörungen waren spontan rückläufig, die Nackenschmerzen ließen allmählich nach. Neue Komplikationen traten nicht auf. Bernhard G. war zufrieden.

Die Geschichte des Bernhard G. zeigt anschaulich, warum in der Wirbelsäulenchirurgie immer ein ganz individuelles Therapiekonzept gefragt ist. Was bei vielen Patienten funktioniert, kann beim nächsten zu Problemen führen oder scheitern. Es kann keine generellen und universalen Therapieansätze geben. Bei Herrn G. mussten wir uns über Fehlversuche an die Lösung des Problems herantasten. Das erfordert beim Patienten Geduld und Vertrauen in den behandelnden Arzt. Bei Bernhard G. hat sich dieses Vertrauen am Ende ausgezahlt.

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