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Manchmal lässt der liebe Gott fünf grade sein

Der Mensch hat oben beginnend sieben Halswirbel, zwölf Brustwirbel und fünf Lendenwirbel. Die anschließenden fünf Wirbel sind zum Kreuzbein verschmolzen, die nächsten 3-5 Wirbel zum Steißbein degradiert. Manchmal verschmelzen die Kreuzbeinwirbel aber nur teilweise, so kann es z.B. zu einem zusätzlichen Lendenwirbel kommen. Warum diese Besonderheit ein Problem bei einer Operation sein kann, erzählt die folgende Geschichte.

Herr M. leidet seit Monaten unter Schmerzen in der Lendenwirbelsäule, die beim Gehen stark zunehmen und dann in die Beine ausstrahlen. Nach etwa 350 m muss er dann stehenbeleiben, weil die Beine ihren Dienst versagen. Er muss sich dann hinsetzen oder weit vorbeugen, dann beruhigen sich die Beine innerhalb von 1-2 Minuten wieder und er kann weitergehen. Nach 350 m spielt sich das Ganze dann wieder genauso ab.

Der Hausarzt hatte richtigerweise eine Spinalkanalstenose vermutet und ein MRT anfertigen lassen. Mit diesem kam Herr M. in unsere Sprechstunde. Die Angelegenheit war ganz eindeutig. Die Krankengeschichte und der Untersuchungsbefund passten perfekt zum MRT-Bild: Der Patient hatte eine Einengung des Wirbelkanals zwischen dem 2. und 3. Lendenwirbel. Da der Leidensdruck hoch war und eine konservative Therapie bei dieser Erkrankung wenig Erfolgsaussichten hat, boten wir ihm die Operation an, zu der sich Herr M. schnell entschliessen konnte.

Die Operation verlief komplikationslos. Der Patient wurde nach 2 Tagen entlassen und stellte sich vereinbarungsgemäß nach 6 Wochen wieder in der Sprechstunde vor. Er fragte, wann denn die Schmerzen nachlassen würden. Erstaunt musste ich feststellen, dass der Eingriff offenbar noch gar keinen Effekt gehabt hatte. Im Grunde bestanden die Beschwerden unverändert. Ich erklärte Herrn M., dass wir eigentlich eine zügige Besserung erwartet hätten und dass ein Kontroll-MRT zeigen müsse, was hier nicht stimme. Herr M. war einverstanden. Es müsse aber schnell gehen, er müsse schließlich mal wieder an seinen Arbeitsplatz.

Das MRT offenbarte das Problem. Die Operation war nicht an der richtigen Stelle durchgeführt worden. Bei der nochmaligen Durchsicht der Röntgenbilder, die in der Operation angefertigt worden waren, schien aber alles in Ordnung zu sein. Wie konnte das stimmen?

Die Lösung zeigte sich auf einem Röntgenbild der ganzen Lendenwirbelsäule. Herr M. hatte sechs Lendenwirbel statt der üblichen fünf. Der oberste Kreuzbeinwirbel war nicht knöchern mit dem Kreuzbein verbunden und funktionierte als sechster Lendenwirbel. Das kommt bei etwa 5% der Menschen vor und ist damit gar nicht so selten. Leider war diese Besonderheit bei Herrn M. vorher nicht gesehen worden, somit war bei der Operation schlicht falsch gezählt worden.

Ich erklärte Herrn M. das Problem. Damit war die Ursache seiner anhaltenden Beschwerden gefunden, aber noch nicht behoben. Ich bat ihn um die Chance, das Wirbelkanaleinengung in einer weiteren Operation nun definitiv zu beseitigen. Der Patient wusste verständlicherweise nicht so recht, ob er sich nun freuen und weinen sollte. Einerseits war klar, wie seine Beschwerden verbessert werden könnten, andererseits war die erste Operation somit vergebens gewesen. Wir vereinbarten einen Termin zur OP. Einige Tage später sagte Herr M. den Termin ohne weitere Angabe von Gründen ab. Es ist nicht bekannt, ob er sich nun in einer anderen Klinik operieren lässt oder derzeit gar keine Operation mehr wünscht. Falls ich wieder von Herrn M. höre, werden es die Leser dieses Blog erfahren.

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