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Notfall oder kein Notfall – das ist hier die Frage

Als diensthabender Neurochirurg ist man in unserer Klinik auch für die Patienten zuständig, die sich mit Rückenschmerzen in der Notaufnahme vorstellen. Oft sind die Patienten stark schmerzgeplagt oder wegen akuter Beschwerden beunruhigt. Manchmal sind es auch neurologische Symptome wie Taubheitsgefühle an den Beinen, Kribbeln oder gar eine Lähmung, die die Patienten in die Notaufnahme führen. Für den Arzt geht es in diesen Situationen darum, die Schmerzen zu lindern und in der Untersuchung festzustellen, ob ein dringlicher Behandlungsbedarf vorliegt. Damit ist gemeint, dass ein Patient ggf. eine sofortige Diagnostik und Therapie braucht, um einen bleibenden Schaden abzuwenden. Im heutigen Blogbeitrag soll es darum gehen, warum es manchmal schwierig sein kann, die „Spreu vom Weizen“ zu trennen.

Recht einfach ist die Beurteilung bei Patienten, die mit erheblichen neurologischen Ausfallerscheinungen oder mit kaum stillbaren Schmerzen in die Notaufnahme kommen. Hier muss je nach Verdachtsdiagnose eine bildgebende Untersuchung (z.B. eine Kernspintomographie) erfolgen, um dann zügig die richtige Therapie einleiten zu können. Das kann dann eine notfällige Operation oder eine andere Maßnahme sein.

Etwas komplizierter ist die Situation bei solchen Patienten, die keine oder nur milde neurologische Symptome zeigen. Auch bei Patienten, deren Schmerzen sich durch eine Infusion in der Notaufnahme bessern lassen, die aber befürchten, zuhause so nicht zurecht zu kommen, ist das weitere Vorgehen nicht eindeutig festzulegen. Die Patienten dieser Gruppe stellen keine Notfälle im eigentlichen Sinn dar, denn das Ausbleiben einer sofortigen Therapie führt nicht zu bleibenden Schäden oder unzumutbaren Belastungen. Die weitere Diagnostik und Therapie könnte nach medikamentöser Linderung der Schmerzen ambulant erfolgen. Für viele dieser Patienten ist aber eine weitere ambulante Behandlung aus verschiedenen Gründen nur schwer möglich: Lange Wartezeiten auf Termine beim Facharzt, unzureichende Versorgung mit Schmerzmitteln durch den Hausarzt oder eine fehlende häusliche Unterstützung des Patienten durch Angehörige (weil alleine lebend) machen eine stationäre Aufnahme im Krankenhaus erforderlich. Es handelt sich dabei wohlgemerkt um lauter Gründe, die aus krankenkassenrechtlicher Sicht einen stationären Aufenthalt eigentlich nicht hinreichend begründen. Daher ist der Arzt gezwungen, mit sehr viel Augenmaß den schmalen Grat zwischen dem, was krankenversicherungsrechtlich akzeptiert ist und dem, was menschlich erforderlich erscheint, zu beschreiten.

Schließlich gibt es noch eine dritte Gruppe von Patienten, die die Notaufnahme aufsuchen. Sie haben ein mildes oder ein schon länger andauerndes Symptom, kommen aber in der ambulanten Behandlung nicht ausreichend oder nicht schnell genug voran. Typische Aussagen dieser Patienten sind:

  • „Der MRT-Termin ist noch so lange hin, können wir nicht hier eines machen?“
  • „Mein Orthopäde will keine Krankengymnastik verschreiben, die hat aber sonst immer gut geholfen. Können Sie das machen?“
  • „Ich hatte heute Morgen so ein Ziehen im Bein, mein Hausarzt ist aber im Urlaub. Können Sie mal gucken?“
  • „Mein Bandscheibenvorfall wird seit 4 Wochen konservativ behandelt und ist immer noch nicht gebessert. Ich habe die Nase voll und möchte jetzt operiert werden. Nehmen Sie mich bitte jetzt stationär auf.“
  • „Ich soll ambulant eine Infiltrationstherapie bekommen. Bei einem stationären Aufenthalt  wäre ich aber privat zusatzversichert. Können wir das daher nicht stationär machen.“

Die Liste ließe sich beliebig erweitern. Diese Patienten kommen in gutem Glauben in die Notaufnahme und erhoffen sich Hilfe. Allerdings muss gesagt werden, dass in diesen Beispielen die Aufgabe einer Notaufnahme völlig missverstanden wird. In vielen der genannten Fälle wäre es sogar illegal, wenn der Arzt der Notaufnahme sich auf den Patientenwunsch einließe. Leider ist die Zahl der Patienten der letztgenannten Gruppe nicht klein. Dadurch wird die Wartezeit der anderen Patienten, die „echte“ Notfälle darstellen, unnötig verlängert.

Für den Arzt in der Notaufnahme ist es manchmal nicht ganz einfach, die Beschwerden des Patienten richtig einzuordnen, um die geeigneten Maßnahmen abzuleiten. Selten entpuppt sich auch eine vermeintlich harmlose Symptomatik als schwere lebensbedrohliche Erkrankung. Beispiele dafür haben wir in unserem Blog schon dargestellt. Aus diesem Grund wird sich der diensthabende Neurochirurg immer um eine möglichst sorgfältige Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) und eines körperlichen Untersuchungsbefundes bemühen. Denn so gelingt es ihm am besten, die „wahren Notfälle“ von den anderen zu unterscheiden.

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