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Die Schubkarre

Garten 110

Herr F. wird notfallmäßig von seinem Hausarzt bei einem Orthopäden vorgestellt. Am Vortag habe er seinen Garten „in Schuss“ gebracht, so Herr F. Die mehrstündige Arbeit beinhaltete unter anderem mehrere Gemüsebeete mit neuer Muttererde zu bedecken. Im Laufe des Abends stellten sich leichte Rückenschmerzen ein, die den 72 jährigen Herrn F. jedoch nicht beunruhigten, da er den ganzen Tag schwer körperlich gearbeitet hatte. Allerdings stolperte er am Abend über seinen linken Fuß, den er nicht mehr richtig anheben konnte.

Am nächsten Morgen stellte sich Herr F. beunruhigt bei seinem Hausarzt vor. Dieser stellte eine Großzehenheber- und eine Fußheberlähmung links fest. Zusätzlich beklagte Herr F. lokale Rückenschmerzen allerdings ohne Ausstrahlung in die Beine. Der behandelnde Hausarzt vermutete einen akuten Bandscheibenvorfall und stellte Herrn F. notfallmäßig in einer orthopädischen Klinik vor.

Hier wurde nach Befundbestätigung eine Röntgenaufnahme der Lendenwirbelsäule durchgeführt, die altersentsprechende Verschleißerscheinungen zeigte. Da eine akut aufgetretene Lähmung als Notfall zu betrachten ist wurde Herr F. stationär aufgenommen. Unter der verabreichten Schmerzmedikation bildeten sich die Rückenschmerzen fast vollständig zurück. Die Kernspintomographie, die am folgenden Tag durchgeführt wurde, zeigte in der Höhe zwischen dem 4. und 5. Lendenwirbelkörper eine mediale Bandscheibenvorwölbung mit fraglichem Kontakt zur abgehenden Nervenwurzel L5. Diese Nervenwurzel ist zuständig für die Fuß- und Großzehenhebung. Da die Bandscheibenvorwölbung die Wurzel nur leicht berührte, wurde unter der Vorstellung einer lokalen Nervenwurzelreizung eine Computertomographie-gesteuerte periradikuläre Infiltrationstherapie (PRT) mit Kortison und einem lokalen Betäubungsmittel durchgeführt. Herr F. stimmte zu und erhielt in den kommenden Tagen drei entsprechende PRT-Sitzungen. Leider verspürte Herr F. keine Besserung. Rückenschmerzen hatte er nach der medikamentösen Therapie keine mehr, die Fußlähmung bildete sich jedoch nicht zurück und ließ ihn ständig stolpern. Mit einer Verordnung für Krankengymnastik wurde Herr F. entlassen.

Einige Wochen später stellte er sich ambulant bei uns vor. Die Fußheberschwäche hatte sich geringfügig gebessert, Rückenschmerzen hatte Herr F. keine. Bei der Untersuchung fiel zusätzlich noch eine Taubheit im Bereich des linken Fußrückens auf. Nervendehnungzeichen, die häufig bei akuten Bandscheibenvorfällen auftreten (z.B. ausstrahlende Schmerzen beim Anheben des Beines) lagen nicht vor. Zusammen mit der Kernspintomographie ergab sich keine passende Erklärung für das beklagte Defizit. Es musste also eine andere Ursache der Beschwerden vorliegen. Herr F. wurde gebeten, den Tag der Gartenarbeit nochmals durchzugehen. Auf die Frage, ob denn irgendein Trauma stattgefunden habe, fiel Herrn F. ein, dass Ihm die mit Erde voll beladene Schubkarre umgefallen sei und ihn am äußeren Unterschenkel, nahe des Knies getroffen habe. Es habe kurz geschmerzt, er habe den Vorfall dann aber wieder vergessen. Bei der Untersuchung fanden sich noch leichte Reste eines lokalen Hämatoms (Blutergusses) im Bereich des Wadenbeinköpfchens des linken Beins.

Herr F. hatte unbemerkt durch den Anprall der Schubkarre eine Verletzung eines Nerven, nämlich des Nervus peronäus links erlitten, der im Bereich des Wadenbeinköpfchens sehr oberflächig und damit recht ungeschützt liegt. Mit Verzögerung kam es im Verlauf des gleichen Abends zu einer Schwellung des Nervens und damit zu einer zunehmenden schmerzlosen Verschlechterung der Motorik. Die Rückenschmerzen, die nicht ausstrahlten, waren der schweren körperlichen Arbeit geschuldet und standen nicht in Zusammenhang mit der Fußlähmung. Die Nervenverletzung konnte von uns elektroneurographisch nachgewiesen werden. Der Nerv zeigte sog. Reinnervationspotentiale als Sinne einer leichten Erholung. Nach mehrmonatiger Krankengymnastik und Elektrostimulation mittels eines TENS-Gerätes konnte ein großer Teil der ursprünglichen Nervenfunktion wiedergewonnen werden. Herr F. läuft wieder sicher und benötigt keine technischen Hilfsmittel.

Wäre Herr F. an der Vorwölbung der Bandscheibe operiert worden, hätte er nicht profitiert. Allerdings wäre auch spontan mit der Zeit eine Besserung der Lähmung aufgetreten und man hätte in Unwissenheit die Bandscheiben-OP als einen Erfolg gewertet.

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